Vortrag

Die Illuminaten: Eine Verschwörung der ratio im Herzen der Freimaurerei?

Vortrag von Br∴ V. T. am 09. Juni 2017

Wenn wir von den Illuminaten sprechen, dann sprechen wir hauptsächlich von Ereignissen der Jahre 1776 bis 1787, und wir sprechen von einer generell stürmischen Periode. Wir befinden uns am Vorabend der französischen Revolution, in Deutschland revoltieren jugendliche Dichter mit genialischem Getue, später bekannt geworden als die Sturm und Drang Periode. Schiller bringt zum Exempel 1781 die Räuber in Mannheim heraus, wo Frauen gleich reihenweise in Ohnmacht fallen. Mozart gibt 1786 das aufrührerische und auch zeitweise verbotene Stück nach Beaumarchais’ Lustspiel Der närrische Tag eben Le nozze di Figaro auf der Opernbühne, Goethe verläßt im Sep-tember 1786 das kühle Weimar und verreist nach dem erotisch interessanteren Italien. Und die Freimaurerei wird von Richtungsstürmen hin und her getrieben, von Stürmen, welche Debatten auslösen, die an ihren äußeren Polen vom atheistisch-materialistischen kalten Rationalismus bis zu okkultesten alchemistischen Rosenkreuzereien reichen. Und im Kurfürstentum Bayern versucht man, den eben erst entdeckten Machenschaften einer geheimen Organisation Herr zu werden, in dem man Verhaftungsbriefe der folgenden Art erläßt:

„Er ist ein ausgeschämter Bösewicht, welcher sich als Blutschänder, Kindesmörder, Volksaufrüher und Chef eines für die Religion und Staat höchst gefährlichen Komplotts durch eigene Bekenntnis selbst schon öffentlich dargestellt hat.

Wir erklären, dass keine auswärtige Protektion mich davon abhalten wird, den so gefährlichen Verschwörer, der unter dem Blendwerk der Wahrheits-Aufklärung und Sitten-verbesserung die christliche Religion zu stürzen und einen völligen Unglauben dagegen einzuführen sich unterfing, allenthalben, wo er sich immer betreffen lässt, bey dem Kopf zu nehmen und Uns selbst die gebührende Satisfaktion und Justiz zu verschaffen.“

Nun, wer dies geschrieben hat, muss ja mächtig gereizt worden sein und derjenige, dem diese Hasstirade galt, musste wahrscheinlich um seine Freiheit, wenn nicht gar um sein Leben bangen.

Wem also galt dieser duodezfürstliche lettre de cachet, dieser Verhaftungsbrief? Nun, diese Kopfjägersepistel galt einem Mann mit dem schönen Namen Adam Weishaupt, genauer Professor Adam Weishaupt, der nach Abschluss der Schule und dem Studium von Recht, Staatswissenschaften, Philosophie und Geschichte bereits im zarten Gelehrtenalter von 25 Jahren im Jahre 1772 auf die Professur für Kirchenrecht und praktische Philosophie an der Universität Ingolstadt in Bayern berufen wurde, was natürlich in Anbetracht seines jungen Alters eine sehr bemerkenswerte Leistung darstellt.
Noch erstaunlicher ist, dass diese Berufung an eine Universität geschah, deren Lehrstühle mehrheitlich von Jesuiten besetzt waren. Und gegen die geistigen Grenadiere des Katholizismus hatte der junge Weishaupt schon in seiner Gymnasialzeit am Jesuiten-Kollegium und später als Student an der Rechtsfakultät der Universität von Ingoldstadt doch einige Vorbebhalte anzumelden.

Dem jungen Weishaupt war erwiesenermassen die societa jesu mit ihrer militanten und gleichzeitig hervorragend geschulten Dialektik und Rhetorik zu Gunsten des Katholizismus’ steter Anlass zu Widerspruch und Abneigung. Denn er war weit eher der Ratio als dem Credo in unam sanctam ecclesiam catholicam et apostolicam zugetan. Hinzu kommt, dass Weishaupt nach Aussagen von Zeitgenossen ein ziemlich schroffes Temperament gehabt haben soll, was die Austragungsmodalitäten geistiger Kämpfe ja auch nicht gerade besänftigt.

Wie kommt es also, dass 1772 ein junger, hitzköpfiger, jesuiten- und kirchenkritischer Intelligenzler wie Weishaupt dennoch Ordinarius an einer Universität wird, an der die Jesuiten eindeutig dominieren? Die Antwort überrascht nicht. Weishaupt war ein Günstling des damaligen Ingoldstädter Universitätsdirektor, des Freiherrn von Ickstatt, der in kirchennahen Kreisen als „gefährlicher Neuerer“ galt. Warum das so war, kann nachgewiesen werden. Ickstatt wollte das Bildungswesen im Geiste der Aufklärung aus den Fängen von Dogmatismus und Glaubenslehren befreien. Da war ihm ein gefechtsbereites Kaliber vom Zuschnitt Weishaupts natürlich sehr willkommen, denn wer wünscht sich nicht Mitstreiter für eine Sache, an die man glaubt und für die man energisch einstehen will? Und wie diese Sache hieß, leuchtet problemlos ein: Die Sache hiess natürlich Aufklärung. Als logische Folge unterschiedlicher Standpunkte kam es während der Lehrtätigkeit des jungen Professors Weishaupt wiederholt zu Konflikten mit dem jesuitisch geprägten Umfeld. Er wirkt dort nämlich als Ordinarius des Natur- und kanonischen Rechtes, also des Kirchenrechtes. Und zudem hielt er Vorlesungen über praktische Philosophie, was ihn selbstverständlich auch über Kant und andere kritische Geister konferieren hieß. Dass dabei Differenzen zwischen der damaligen modernen Philosophie und den althergebrachten Glaubenslehren sichtbar wurden, muss wohl kaum noch gesondert erwähnt werden.

Und natürlich war auch die Tatsache, dass er weder Theologe geschweige denn Jesuit war, seiner Karriere nicht gerade förderlich, denn seine Vorbildung provozierte natürlich Zweifel an seiner wissenschaftlichen Reputation seitens der alteingesessenen Professoren.

Wen wundert es also heute, wenn er sich danach sehnte, seine Gedankenwelt mit Menschen zu teilen und bestätigt zu finden, welche sich von den damaligen Beengungen des Denkens und den Bevormundungen der Kirche und ihren weltlichen klein- und grossfürstlichen Protektoren befreien wollten? Wen erstaunt es also heute, wenn Weishaupt in einem sanften Rationalismus der Aufklärung einen Ausweg aus den gedanklichen Fallen der Katechismen und Dogmatismen der Epoche sah? Wer damals sich mit den neusten gedanklichen Strömungen der Zeit auseinandersetzte, musste zudem früher oder später auch auf die freimaurerische Lebensschule stossen. So auch Weishaupt, der nicht zögerte, sich mit der freimaurerischen Welt auseinanderzusetzen. Dies war natürlich umso spannender, als die FM damals ein gesellschaftsbestimmender Faktor erster Ordnung war; dies in einer Zeit, wo nicht nur in Philosophie, Literatur und Kunst, sondern generell gerade in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts, also am erwähnten Vorabend der Französischen Revolution, alle Zeichen auf Sturm und Drang standen. Auch in der Freimaurerei wirbelten in dieser allerorten gärenden Entwicklungsperiode die unterschiedlichsten Denk- und Ritualausrichtungen in den klügsten Köpfen der Epoche herum. Müsste man die damalige FM in ein Links-Rechts Schema hineinpressen, dann könnte das vermutlich etwa so aussehen:

Rationalismus Aufklärung Deismus Ritter-Legende und Mystik Okkultismus
Illuminaten Eklektischer Bund Blaues
„Englische Freimaurerei“
Tempelritter
„Schottische Maurerei“
Strikte Observanz Rosenkreuzer und andere mehr

Die Extreme werden markiert durch einen puren Esoterismus mit viel Alchemie, Astrologie und Kabbala und im Bereich des Betruges durch die Machenschaften Caliostros. Dazwischen liegen die Entwicklungen in der Hochgradmaurerei mit ihren damals doch recht ritterromantischen Liebhabereien. Vergessen wir hier vor allem nicht den Orden der Strikten Observanz, welcher im Jahre 1775 seinen Höhepunkt mit Niederlassungen in Deutschland, Frankreich, Italien, Dänemark, Ungarn, Polen und Rußland aber auch der Schweiz mit weit über 200 Logen und etwa 20'000 Anhängern erreicht hat. Auf der anderen Seite der Skala finden wir die eher rational ausgerichtete ganz im Zeichen der Aufklärung stehende FM, welche nicht zuletzt auch auf die Verbesserung des Lebens im Diesseits hinzielte und dadurch natürlich in den Dunstkreis der Politik gerät.

Mitten in diesem Fokus der geistigen Leidenschaften steht nun unser junger Professor mit seiner Abneigung gegen alles Jesuitische und Klerikale, gegen Aberglauben und Religionsschwärmerei, der sich nun Gedanken macht, ob man wohl etwas dagegen im grösseren Stil unternehmen könnte und sollte. Die Initialzündung lässt nicht lange auf sich warten. Nachdem Weishaupt über die Freimaurerei durch die Schilderungen eines protestantischen Hannoveraners eine deutlichere Vorstellung gewonnen und für die Königliche Kunst viel Sympathie entwickelt hatte, reifte in ihm der Gedanke, etwas Vergleichbares zu versuchen und eine Gemeinschaft zu bilden, welche vor allem auf geistigem Gebiet wohltätig sein wollte, was immer man darunter verstehen will.

Den katalysierenden Anlass endlich zu handeln, lieferten die Anwerbungsversuche eines Rosenkreuzerzirkels im nahen Burghausen, den Weishaupt natürlich ebenfalls dem Umfeld von Mystizismus und Okkultismus zuordnet, für die er herzlich wenig Sympathie hegte. Am 1. Mai 1776 ist es dann soweit: Weishaupt hat unter seinen Studenten ein paar begeisterte Mitstreiter gefunden. Er gründet mit ihnen, den Bund der Perfectibilisten, der später dann Illuminatenorden (von illuminati (lat.) = die Erleuchteten) umbenannt wurde. Ganze drei Mitglieder, andere Quellen sprechen von fünf, zählte der Orden, dies inklusive Weishaupt. Am Anfang existierten ein paar Statuten und ziemlich vage Vorstellungen, ganz zu schweigen von Ritualen oder Ordensinhalten.

Diese Gründung einer neuen Societät war im übrigen damals nichts Besonderes. Solche Bildungsgesellschaften gehörten im ausgehenden 18. Jahrhundert quasi zum bon ton der adligen wie bürgerlichen, also der besseren Kreise. Ein Blick in die Statistik belegt das: So hatten zum Beispiel die Rosenkreuzer (1656/57-1787) etwa 5850 Mitglieder, die 433 deutschen Lesegesellschaften (1750-1800) 12600 Mitglieder, die deutschen Freimaurer (1737-1789) 27000 Mitglieder.

Das erste „Parteiprogramm“ des jungen Ordens entsprach durchaus dem Credo eines aufgeklärten Zirkels. Weishaupt definierte seine Gesellschaft als eine Verbindung, welche "(…) der Tugend und Weisheit in der Welt über Dummheit und Bosheit den Sieg verschaffen, die wichtigsten Entdeckungen der Wissenschaften machen; ihre Mitglieder zu edlen, großen Menschen zu bilden und diesen dann den Preis ihrer Vervollkommnung auch in dieser Welt schon zuzusichern; sie gegen Verfolgung, Schicksale und Unterdrückung zu schützen und dem Despotismus aller Art die Hände zu binden". In dieser Kurzformel ist eigentlich alles schon enthalten, was diesen Orden im Kern konstituierte:

Die Welt der Dummheiten und Bosheiten durch Weisheit und Wissenschaft (Geheime Weisheitsschule) verändern. Die Menschen bilden und sie schützen gegen jede Art von Despotie. Damit war auch klar, dass Weishaupt eine Organisation schaffen musste, die für das Gute im Geheimen wirken musste, die sich also auch in einem nachvollziehbaren Sinne eine Art Verschwörung für das Gute vollziehen musste, und weil das Gute primär als Resultat einer vorwiegend rationalen Vernunft gesehen wurde, könnte man auch von einer Verschwörung der Ratio oder für die Ratio sprechen. Dass dies bis heute missverstanden wird, ist eine der tragischkomischen Konsequenzen der rigorosen Geheimhaltungspraxis der Illuminaten.

Wie auch immer wir das sehen wollen, diese geheime Gesellschaft breitete sich anfangs nur sehr langsam aus. Dies war jedoch ganz in der Intention von Weishaupt: Qualität kommt vor Quantität. Gesucht wurden vor allem junge, noch formbare Mitglieder.


"Dermalen kann man keine [anderen Qualitäten) brauchen, als qualitates generales.
1) Geschickt
2) Industrios
3) Biegsam
4) Sociabilis.
Sind die Leute noch dazu reich, vom Adel und mächtig, tant mieux."


Im Februar 1778, also zwei Jahre später, zählte der Orden insgesamt neun Mitglieder, im Dezember 1778 immerhin schon 40. Für Frauen bestand keine Möglichkeit der Mitgliedschaft im Orden, es wurde aber über die Gründung separater Frauenlogen diskutiert. Und noch etwas. In der ersten Entwicklungsphase war der Illuminatenorden autonom und keineswegs ein freimaurerisches Derivat. Er ist es auch nie geworden, obschon in einer zweiten Periode die Freimaurerei eine Funktion übernimmt, auf die wir gleich zurückkommen müssen.

Vorab aber dies: Vier Jahre nach der Gründung und nach vier Jahren relativer Bedeutungslosigkeit erfolgt am 01. Juli 1780 eine Arte Wende. Dann nämlich wird der Hannoveraner Jurist und Publizist Adolph Freiherr von Knigge von einem Illuminaten, dem Marquis Constanzo in Frankfurt erfolgreich angeworben. Knigge tritt denn auch dem Illuminaten-Orden bei, da auch er als geistiger Stürmer und Dränger, als Gegner der Despotie, als Pazifist, Kosmopolit und Patriot gute Gründe hat, im Bunde tatkräftig mitzuwirken.

Und was jetzt geschieht, ist einerseits verblüffend, andererseits aber wieder nichts als logisch. Knigge, der selber bereits Freimaurer und als Anhänger der Strikten Observanz und als Mitglied der Logen Zum gekrönten Löwen in Kassel und Wilhelmine Caroline in Hanau genannt wird; Knigge schlägt nämlich vor, man solle künftig aus Gründen der Ideenverwandtschaft und der Effizienz Mitglieder aus den Freimaurerlogen rekrutieren. So habe man nämlich die Gewähr, dass die Qualität des Ordens erhalten bliebe.

So beginnt ab 1780 das, was man durchaus als die wenn auch wohlgemeinte aber dennoch systematische Unterwanderung der Freimaurerlogen bezeichnen darf.

Knigge machte sich mit der ihm eigenen Energie ans Werk. Sein zielgerichtetes Werben blieb nicht erfolglos. Da er eine Mitgliedschaft im Illuminatenorden propagierte, welche die Neophyten nicht verpflichtete, ihre angestammten Freimaurerlogen zu verlassen, konnte er sehr rasch Resultate ausweisen, was allerdings in eine hohe Zahl von Doppelmitgliedschaften mündete.

Und noch etwas ist dabei zu bedenken: In dieser zweiten Periode des Ausbaus des Illuminatenordens überließ der Gründer Weishaupt Knigge das Anwerben von neuen Mitgliedern und damit natürlich auch einen Teil seiner selbstgeschaffenen Macht. Knigge gelang es dann in der Tat, innerhalb von knapp drei Jahren, 500 "edle, vornehme, gelehrte und wichtige Männer" für die gemeinsame Sache zu gewinnen.

Doch nicht nur quantitativ veränderte sich der Orden. Knigge tastete auch die Hierarchie der Organisation an. Denn bis 1781 regierte der General Weishaupt den Orden wie ein Jesuitengeneral, durch Knigges Reformwillen änderte sich jedoch die Machtstruktur. Knigge befürchtete einen Machtmißbrauch des Ordens, "wenn wir Stifter uns nicht einen Zaum dadurch anlegten, daß wir die despotische Macht, die wir im Namen unbekannter Oberer hätten ausüben können, in eine Art von republicanischer Regierung verwandelten."

Nun wissen wir es alle: Wenn eine Gesinnungsgruppe wächst, dann wächst auch das Bedürfnis nach Organisation und Satzung. So auch bei den Illuminaten, und hier vor allem bei den Mitgliedern, welche noch im Noviziat standen, die von den höheren Graden des Ordens zwar gehört hatten, nun aber begierig waren, diese höheren Stufen auch wirklich zu erlangen. Sie begehrten auf. Damit versetzen sie aber Weishaupt in eine äusserst peinliche Lage: Dieser muss notgedrungen nämlich dieses Versprechen erfüllen. Aber das war dann doch etwas schwierig, denn das höhere System existiert vorderhand nur in Weishaupts Haupt. Es scheint überhaupt, dass Weishaupt eher phantasiereich konzipierte als konkret realisierte.

Nun, dafür hatte man ja den Freiherrn v. Knigge. Weishaupt erteilte hierauf notgedrungen dem unermüdlichen Baron den Auftrag, diesem Systemmangel abzuhelfen; dies mit dem Hinweis, dass man durchwegs freimaurerische Symbolik übernehmen solle, um "die Sinnbilder passend auf unser System erklären, und dadurch endlich die ganze Freymaurerey zu unsern erhabenen Zwecken hinleiten und unter unsere Direction bringen" zu können.

Nun denke ich, wird es Zeit, die Frage nach den Zielen und Inhalten der Illuminaten zu stellen. Was wollten sie eigentlich? Was intendierte dieses sogenannte höhere System? Und mit welchen Mitteln und organisatorischen Massnahmen wollten sie diese Ziele erreichen?

Nun, die Stossrichtungen sind einfach zu verdeutlichen:

Ein Erstes: Als Resultante der persönlichen Biographie von Weishaupt kann sicher der Kampf gegen den autoritären und dogmatischen Katholizismus gelten, wie er in der Welt des Jesuitenordens zum Ausdruck kam. Hier sehen wir eine Organisation, die sich ganz der Aufklärung durch Philosophie und Wissenschaft im Geiste der Enzyklopädisten und somit primär der ratio verschrieben hat.

Zum Zweiten müssen wir das Geschichtsbild der Illuminaten betrachten.
Wir erkennen hier vor allem den Einfluß von Rousseau, der im Despotismus und Absolutismus seines Jahrhunderts die Wurzel jenes Übels sah, das die Menschheit daran hindert, zu einer höheren Stufe der Freiheit zu gelangen. Rousseau und Weishaupt und mit ihnen viele Andere des Siecle des Lumières bekennen sich klar zu einer teleologischen Weltsicht; das heißt, sie sehen in der Geschichte einen Dauerprozeß, der die Menschheit zielorientiert von einer tieferen Stufe in höhere Sphären führen wird und sie entdecken in der Aufklärung einen entscheidenden Prozessbeitrag, diese optimistischen Ziele zu erreichen.

In den meisten Äußerungen stellt sich Weishaupt allerdings gegen Rousseau, der vom Despot und der Beseitigung der Tyrannei ein düsteres Bild entwirft: „Nur Gewalt hielt ihn an der Macht; nur Gewalt stürzt ihn. Alles vollzieht sich nach der natürlichen Ordnung.“

Weishaupt verwirft nach ersten revolutionär angehauchten juvenilfeurigen Brandschriften in späteren Jahren alle radikalen Mittel, Despotie und Ungleichheit zu vertreiben. Vielmehr wählt Weishaupt den Weg zur Vollkommenheit über das Individuum: Reform des Ichs statt Revolution der Massen. Vervollkommnung der Person, die zu einem geheimen Bündnis der Guten geführt werden soll, welche dann als geheime gesellschaftsprägende Kraft in die Schaltstellen der Macht vordringen und dort mit den Mitteln der ratio das Gute bewirken muss, das schliesslich Despotie und Willkür beseitigen wird, ohne dabei die Machthaber zu beseitigen. Man könnte auch etwas salopp vom noch bestens bekannten Marsch durch die Institutionen sprechen.

Um das Gesagte noch etwas zu verdeutlichen, zitiere ich Ausschnitte aus einer Arbeit von Marian Füssel, welche vor kurzem an der Universität Münster vorgelegt worden ist:

Der Weg zu allgemeiner Aufklärung konnte daher nur über die moralische Verbesserung des einzelnen durch das "Sittenregiment" des Ordens geleistet werden, ging Weishaupt doch davon aus, daß "die Kirche sowohl als der Staat, sowie sie dermalen sind, die höchste Veredlung der Absichten auf keine Art bewirken." Die Ziele des Ordens bleiben jedoch abstrakt utopisch, Pläne zu konkreten Reformen sucht man vergeblich. Man konzentrierte sich vielmehr auf Methoden und Strategien zur Veränderung: eine Reform der Pädagogik und die Einflußnahme auf die Herrschenden durch die Besetzung von institutionellen Schlüsselpositionen. (…)

Ihr Ziel war nicht die Revolution, sondern die Perfektion des bestehenden Systems, d.h. "die Vervollkommnung des aufgeklärten Absolutismus durch konspirative Mittel." Entsprechend ihrer meritokratischen (Herrschaft durch Verdienst) Ideologie kritisierten die Illuminaten die Macht des Adels und traten für die Herrschaft der intellektuellen Elite ein, (…) Das Fernziel scheint offenbar eine Art Gelehrtenrepublik gewesen zu sein. Man könnte vielleicht auch von einer Reform von innen und von oben sprechen. Für eine Revolution von unten konnte man Weishaupt hingegen nicht gewinnen. Er fürchtet die unkontrollierbare Macht des Volks. "Siegt das Volk, so steht ein Zustand bevor, der nun ärger als aller Despotismus, und der Aufklärung noch viel gefährlicher ist: wir laufen Gefahr, in einen anarchischen Zustand zu verfallen."

Eine exakte Rekonstruktion der geistigen Einflüsse der Illuminatenideologie ist schwierig, da die von Weishaupt empfohlenen Schriften nahezu die ganze Bandbreite der zeitgenössischen Philosophie abdecken. Die Illuminaten verwerteten "die damals zugänglichen Aufklärungsschriften, aus denen sie einen populären Extrakt zusammenbrauten". Die philosophischen Einflüsse Weishaupts lassen sich weder einseitig auf materialistisch-sensualistische Strömungen (Helvetius, Condillac, Holbach) noch auf esoterische (Meiner) reduzieren. Die Originalität der illuminatischen Theoriebildung bestand jedoch weniger im (mißglückten) Versuch einer Synthetisierung heterogener Theorieangebote als vielmehr in ihrer konsequenten Indienstnahme für die aufklärerische Praxis.

Die wahre Moral ist für Weishaupt die "so sehr verkannte, vom Eigennutz mißbrauchte, mit so vielen Zusätzen vermehrte, und ihrem wahren Sinn nach blos in Geheim fortgepflanzte, und auf uns überlieferte göttliche Lehre Jesu und seiner Jünger."
Symbolik und Rituale der Illuminaten verbinden so gnostisch verstandenes Christentum, Maurerei und Bildungsidee. Der Illuminat steigt von Stufe zu Stufe dem Licht der Vernunft entgegen. (Marian Füssel)

Soviel also zu den wesentlichen gedanklichen Hintergründen und Zielen der Illuminaten. Dass konservative Kräfte in Staat und Kirche natürlich beunruhigt waren, versteht sich.

Denn die strikt geheimen Anwerbeerfolge des Illuminatenordens sind ab 1780 bemerkenswert. Knigge und auch der Wetzlarer Reichskammergerichts-Assessor Franz Dietrich Frhr. .v. Ditfurth hatten ganze Arbeit geleistet. Generalstabsmässig wurden die Schaltstellen der Verwaltung unterwandert, so zum Beispiel das Reichskammergericht in Wetzlar, das bayerische Zensurkollegium und die bayerische Akademie der Wissenschaften, später dann weitere wichtige Institutionen in ganz Deutschland.

Parallel dazu infiltrierte man wie bereits erwähnt systematisch die Freimaurerlogen, in dem man ganze Bauhütten illuminierte oder im Geheimen eine Reihe von Brüdern für das rationale System gewann. Dabei muss man sich vorstellen, dass innerhalb einer Bauhütte eine zweite geheime zumeist auch noch führende Auswahl von Brüdern die Logen im Sinne des Illuminatenordens dirigierten.

Knigge setzte zudem massive Reformen innerhalb des Ordens durch. Die Organisationsstruktur wurde nun in der Tat straffer und detaillierter ausgearbeitet. Seltsamerweise wurden aber auch die Inhalte trotz rationalistischer Grundhaltung mehr an den Ritualen, der Organisationskultur und den Verhaltenscodes der Freimaurer ausgerichtet: Man verwendete besondere Sprachchiffren, Ordensnamen und eine besondere Ordenskleidung. Der Orden nutzte die altpersische Zeitrechnung, das heißt: Sie beginnt um 630 n.Chr. Die Gründung des Illuminatenordens fällt dem zu Folge in das Jahr 1146. Diese Zeitrechnung sollte nicht nur den Beginn einer neuen Zeit - wie in etwa der französische Revolutionskalender - symbolisieren, sondern sie meldete gleichzeitig einen Traditionsanspruch an, durch den der Orden eine Kontinuität gegenüber alten Überlieferungen herstellte.

Zur Organisationsstruktur dies:

Grad Blaue Freimaurerei Schottische Freiaurerei Illuminatensystem
 
      III. Mysterienklasse
Große Mysterien
Rex
Magnus
      Kleine Mysterien Princeps-Grad
Regenten-Grad
Prespyter-Grad
Priester-Grad
VI (32)   Schottischer Ritter II. Maurerklasse Illuminatus dirigens
Schottischer Ritter
V (30) Schildträger Novize Illuminatus major
Schottischer Novize
IV (18) Schottischer
Andreasmeister
III Meister   Meister
II Geselle Geselle
I Lehrling Lehrling
      I. Pflanzschule
oder
Vorbereitungsklasse
Illuminatus minor
Minervale
Novize

Klemens von Neumayer (1766-1829), seit 1783 Illuminat, beschreibt in seiner Autobiographie die Strukturelemente, die Weishaupt von den Jesuiten übernahm, wie folgt:

"Der IlluminatenOrden verlangte blinden Gehorsam der Untergebenen gegen ihre Obern. Jedes Mitglied mußte bei seiner Aufnahme alle seine persönlichen, Familien-, oeconomischen und politischen Verhältnisse in besonders vorgeschriebenen Tabellen (1’000 Fragen auf 35 Bogen Papier, erinnern an die Methoden der Scientologen) zur Anzeige bringen, und sogar eine ausführliche Geschichte seines bisherigen Lebens übergeben: eine Art fortgesetzter Beichte war in den monatlichen Quibus Licet verordnet; jedes Mitglied war zur Beobachtung der übrigen Mitglieder, selbst zu Denunciationen ihrer nächsten Obern in (…) aufgefordert; jedem Mitgliede ward es zur Pflicht gemacht, Männer von Einfluß für den Orden zu gewinnen, und seinen eigenen Einfluß überall zum Besten des Ordens zu verwenden, u.s.w. "


Die vorgeschriebene abgestufte Lektüre der Minerval-Illuminaten:

Holbach
Helvétius
3. Stufe:
Rationales wissenschaftliches und aufgeklärtes
Weltbild ohne Gott
Seneca
Epictet
Plutarch
Sallust
2. Stufe:
Antikes Weltbild mit der Idee der Gottheit
Schiller
Lessing
Goethe
Wieland
1. Stufe:
Deistisches Weltbild mit einem allgegenwärtigen,
allgütigen höheren Wesen

Symbole der Illuminaten

Ein Illuminat des Minervalgrades trug an Zusammenkünften eine Art Medaillon aus vergoldetem Metall, das an einem grünen Band um den Hals getragen wurde. Darauf sah man einer Eule dargestellt (das Symbol der Weisheit), die über den Wolken schwebte, von einem Lorbeerkranz eingerahmt war, und ein aufgeschlagenes Buch in den Krallen hielt. Das Buch zeigte Initialen P. M. C. V., was so viel wie Per me Coeci vident: Durch mich werden die Blinden sehend, bedeutet.

Bekannt ist die Schlange, die sich in den Schwanz beisst, die Pyramide, die den Orden, im Besonderen seine strenge Hierarchie zum Ausdruck brachte. Aber ebenso bekannt war auch ein Bild der Pallas Athene, das Wachsamkeit symbolisierten sollte. Andere Quellen berichten vom Wasserkrug, der auf Mäßigkeit hinwies, den Köcher mit Pfeilen, der für die Macht der Beredsamkeit stand, und schließlich der Palmzweig, der Frieden, Duldung und Ruhe darstellte.


Die Geheimhaltungspraxis der Illuminaten

Der gesamte Schriftverkehr wurde selbstverständlich getarnt. Man gebrauchte geheime Pseudonyme für Städte und Ordensbrüder und einen Chiffre-Code. Weishaupt selbst nannte sich "Spartacus". Natürlich ist das kein Zufall, dass er den Namen des Anführers eines Sklavenaufstandes wählte, der sich gegen die herrschenden Zustände aufgelehnt hatte. Knigge wiederum hiess "Philo"; und das später berühmteste Mitglied Johann Wolfgang von Goethe war unter dem Namen "Socrates" eingeschrieben. Ein anderer nicht ganz unbekannter Illuminat nannte sich „Alfred“. Uns besser bekannt ist dieser Alfred unter dem Namen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827).
Ebenso wurden Länder und Städte chiffriert: Teutschland war Assyria. Österreich wurde zu Ägypten. München nannte man Athen. Erlangen erhielt den Namen Sagunth und Wien wurde in Roma verwandelt. Ingolstadt als Gründungsort des Ordens wurde bewusst Eleusis getauft, da dieses im alten Hellas eine bedeutende Stätte der Mysterien war.


Ein Protocoll aus der damaligen Zeit:


Actum Edessae (Frankfurt am Main) den 15. Chardad 1153 (1783). Jezdedgerd. In aedibus Fratris Agathoclis. Praesentibus fratribus Aristide, Agathoclis, Avicenna, Arcadio, Strabone et me Osmandua qua Secretario vic. Da die Erlauchte Obern des Illuminaten Ordens dem sehr Ehrw Br Aristidi verschiedentlich den Auftrag ertheilet haben, sich alle Mühe zu geben, die unter den hießigen 0 Brüdern entstandene Trennung wo möglich zu heben, das durch verschiedene Irrungen aufgelößte Band der Liebe, Freundschaft und Einigkeit wieder fest zu knüpfen, und so mit die in Zerrüttung gerathene Minerval Kirche in Edessa wieder herzustellen: so ist zur Erreichung dieses erhabenen Entzweckes auf Veranstaltung des sehr Ehrw Br Aristidis anheute eine brüderliche Zusammenkunft gehalten worden, worinnen nachstehendes vorgegangen ist.

Nach diesem Exkurs in die Geheimhaltungspraxis der Illuminaten laßt uns zurückkehren zur Geschichte dieses Ordens; und zwar in das Jahr 1782, ein Jahr, dass in uns die unterschiedlichsten freimaurerischen Assoziationen erwecken kann; dies vor allem dann, wenn wir uns daran erinnern, dass vom 16. Juli bis 1. September 1782 zwei Illuminaten, nämlich Knigge und F.W. v. Ditfurth, am Wilhelmsbadener Freimaurer-Konvent teilgenommen haben; dies mit der Absicht, den Kongreß als Infiltrations-Basis für eine weitere Ausdehnung des Ordens zu verwenden.


Man wollte das Vakuum, das durch die Auflösung der Strikten Observanz geschaffen wurde, mit den Inhalten des eigenen Weltbildes auffüllen. Wie wir wissen, gelang dies nicht. Aber immerhin konnten durch neu erworbene Bekanntschaften und Beziehungen nach dem Kongreß neue Mitglieder gewonnen werden; und zwar Persönlichkeiten von einigem gesellschaftlichem und geistigem Gewicht. Unter ihnen seien hier erwähnt: Johann Joachim Christoph Bode (1730-1793), Herzog Ferdinand von Braunschweig und Prinz Karl v. Hessen Kassel. Bode entwickelte sich in der Folgezeit zu einem der wichtigsten Mitglieder des Ordens. So ist es Bode gelungen, den Herzog Ernst von Sachsen Gotha einen Ordensplan zu vermitteln, worauf der Herzog dem Orden beitrat.


Man kann mit einiger Sicherheit festhalten, dass die Mitgliederzahl in dieser letzten Blütezeit des Ordens, also um 1783, auf etwa 1400 Persönlichkeiten vorwiegend aus Gelehrtenkreisen (45%), Adel und dem höheren Beamtentum angewachsen war.
Doch bereits 1784 läuteten dem Geheimbund die ersten Totenglocken von den Kirchtürmen der Reaktion; und es wird Zeit, uns zu fragen: Ja warum zerfiel der Illuminatenorden, nachdem er doch so rasch und erfolgreich aufgeblüht war? Vielleicht zerfiel er gerade deshalb, weil er zu rasch gewachsen war und dadurch inhaltliche und organisatorische Hohlräume nicht mehr rechtzeitig aufzufüllen vermochte. Dies um so mehr, als die Kritiker des Illuminatenordens gewichtige Gegenargumente aufzuweisen hatten.


So bezeichnete der Berliner Kritiker und Aufklärer, Friedrich Nicolai, 1784 den Orden als eine Organisation, welche in ihrer hierarchischen und ihrem Gehorsam erzwingenden Regiment vom „Parfüm des Papismus“ angeweht sei.
Oder nehmen wir Johann Caspar Lavater: Er hält nicht viel von solchen Reformprojekte(n), welche (…) das Licht scheuen und die als ihr Ziel erklären, die Menschheit besser machen zu wollen. Er sei nicht arrogant genug, das Menschengeschlecht heimlich (…) reformieren zu wollen.

Ein anderer Gegner ist erstaunlicherweise auch Schiller. Er lehnte den Eintritt in den Orden ab, weil er glaubte, dass der Despotismus, der in dieser Gesellschaft (der Illuminaten) herrschte, grösseres Übel anrichten könnte, als alles Übel, gegen das der Orden kämpfen wollte. Das waren Schwachstellen des Ordens, ohne Zweifel, aber die Hintergründe, welche 1784/85 zum Untergang des Ordens führten, waren gleichwohl andere.


Kurz gefasst waren es drei Ursachen und Auslöser:
Erstens: Die Geheimnisse des Ordens kamen an die Öffentlichkeit; und zwar durch Berichte und Enthüllungen einiger Mitglieder, die sich getäuscht fühlten (Eberhard WEIS: Der Illunimatenorden).


Diese Enthüllungen wurden aus der damaligen Perspektive der Staatsraison als umstürzlerisch und staatgefährdend eingestuft. Das Gewaltenmonopol der Herrschenden stand auf dem Spiel. Man war, allerdings nach längerem Zögern, gezwungen zu reagieren.


Zweitens: Viele Ordensmitglieder waren enttäuscht, als sie feststellen mußten, dass in den oberen Graden mehr Luft als wirkliche Substanz zu finden war, will heißen, die pompösen Heilsversprechen für die Menschheit, die glänzenden Titel und Bekleidungen konnten nur notdürftig die Schwachstellen des philosophischen Corpus verhüllen. Desillusionierte Austritte waren die logische Folge.


Drittens: Menschlich, allzu Menschliches beschleunigte den Auflösungsprozeß auch von innen her. Dazu ein gekürztes Zitat aus der erwähnten Arbeit von Marian Füssel:


Zum (…) Auflösungsprozeß (…) trugen wesentlich die (…) Auseinandersetzungen zwischen Weishaupt und Knigge bei. Vor allem Weishaupts autoritärer Führungsstil stieß auf Widerspruch bei Knigge. Im Zuge der wachsenden Kritik (vor allem Knigges) an Weishaupt entstand immer mehr das Bild seines "jesuitischen Charakters". "Sollte selbst Spartacus [so Weishaupts Ordensname] ein verlarvter Jesuit seyn." Weishaupt wiederum verdächtigte Knigge, "daß er hinter uns arbeitet und etwas anderes errichtet". Den eigentlichen Anlaß zur Eskalation des Konfliktes lieferte ein an die führenden Männer des Ordens gerichtetes Rundschreiben Knigges, in dem er vorschlug, sich Ende des Jahres 1783 zu einem Kongreß in Heidelberg zu treffen, um die weitere Organisation des Ordens zu regeln. Knigge plante die Einrichtung eines ständigen Rates der Mitglieder der Regentenklasse und die damit verbundene Offenlegung der personellen Identität der Ordensspitze.

Bislang war allerdings nur dem Münchener Aeropag die zentrale Rolle Weishaupts als Gründer und Oberhaupt des Ordens bekannt. Wollte er seine geheime Identität und damit die Bedingung der Möglichkeit seiner Macht bewahren, mußte er Knigges "demokratisierende" Intervention verhindern. Er übertrug die Verwaltung der deutschen Ordensangelegenheiten, die zuvor Knigge oblag, Stollberg-Rossla und bestimmte Bode als Vermittler. Nach einem Treffen in Weimar wurde Knigge in Ehren entlassen.


Damit verloren die Illuminaten ihren Organisator und wichtigsten Mann. Das alleine genügte allerdings noch nicht, den Orden zu zerstören. Erst die Interventionen des bayrischen Staates versetzten dem an sich schon schwächlichen um nicht zu sagen morschen Ordensgebäude den entscheidenden Stoss ins Fundament.


Am 22. Juni 1784 wurde in Bayern der Illuminatenorden zusammen mit anderen Geheimgesellschaften von Kurfürst Karl Theodor verboten. 1785 erklärt der damalige Papst Pius VI in zwei Briefen (vom 18. Juni und 12. November) an den Bischof von Freising die Mitgliedschaft im Orden als unvereinbar mit dem katholischen Glauben. Weitere Verbote durch Karl Theodor folgen. Ein Edikt stellte gar die Rekrutierung von Mitgliedern für Freimaurer und Illuminaten unter die Todesstrafe. Daraus stammt auch der anfangs zitierte Text vom vermutlich 2. März 1785 gegen Weishaupt, der ein ausgeschämter Bösewicht sei, welcher sich als Blutschänder, Kindesmörder, Volksaufrüher und Chef eines für die Religion und Staat höchst gefährlichen Komplotts durch eigene Bekenntnis selbst schon öffentlich dargestellt habe.


Nun triumphierten die konservativen Kräfte, allen voran die Kirche. Jetzt hatte man die offizielle Bestätigung, dass der Illuminatenorden und überhaupt alle Aufklärer Staat und Religion zersetzen wollten. Nun nutzte man die Gunst der Stunde und diskreditierte alle aufklärerischen Kräfte als "illuminatisch" und damit als staatsfeindlich.


Als direkte Folge der pfalz-bayerischen Edikte und der Streitigkeiten zwischen Weishaupt und Knigge übernahm eine Gruppe um Bode und Herzog Ernst von Gotha die geheime Leitung des Ordens. Weishaupt wurde von allen Ordenstätigkeiten suspendiert. Der Orden, wie ihn Weishaupt konzipiert hatte, existierte nicht mehr.


Dennoch sassen der Schock und die Angst vor den Illuminati tief. So war es bis in das 19. Jahrhundert bei Todesstrafe verboten, den Orden wieder neu zu gründen. Das erwähnte Verdikt steht allerdings im Widerspruch zur Praxis in Bayern.

Es gab zwar Untersuchungen, aber keine grossen Repressionen. In Bayern verloren einige prominente Illuminaten vorübergehend ihre Staatstellen; für längere Zeit inhaftiert wurde nur einer. Einige, darunter Weishaupt, flohen. (Eberhard WEIS: Der Illuminatenorden).


Und es gab auch von 1786 bis 1788 noch zahlreiche Versuche, den Orden im In- und Ausland zu restrukturieren und zu reaktivieren. Äusserst aktiv war der reisefreudige Johann Christoph Bode. Aber auch seinen und anderen Bestrebungen war kein durchschlagender Erfolg mehr beschieden; dies um so weniger, als ab 1789 eine andere Sprache gesprochen wurde.


Weishaupt, der als Urheber der Verschwörung zur Zielscheibe öffentlicher Kritik geworden war, sollte übrigens mit einer geringen Pension aus dem Dienst der Universität Ingolstadt entlassen werden und zuvor öffentlich das katholische Glaubensbekenntnis ablegen. Dieses war im Mittelalter eine übliche Kirchenbuße für Ketzer gewesen. Weishaupt entzog sich der Strafe jedoch durch eine Flucht nach Regensburg, Er lässt sich dann 1787 in Gotha nieder, wo er unter der Protektion des Herzogs Ernst von Sachsen Gotha steht. Dort schreibt er einige Verteidigungsschriften, die aber den vollständigen Untergang des Illuminatenordens nicht mehr verhindern können. Streng gesehen dauerte also die Lebenszeit dieser Societät der rationalen Vernunft von 1776 bis 1787, also etwa 11 Jahre.


Nun ist also der Orden zumindest physisch nicht mehr aktiv und es ist wohl an der Zeit, trotz Thrillern und Verschwörungsliteratur endlich Abschied von ihm zu nehmen. Was aber bleibt? Was ist für uns geblieben?


Zum einen sicher sein Einfluß auf die Freimaurerei. Man könnte im Rahmen einer weiteren Untersuchung relativ mühelos nachweisen, dass er via die Pariser Forschungsloge der Philalethen über den bereits erwähnten Bode Kontakte zum Grand Orient de France hatte, dass der Eklektische Bund, der sich wieder auf die drei Johannesgrade besinnen wollte und für Ordensmitglieder geschaffen wurde, welche den Grad eines Illuminatus major nicht erreichten oder nicht erreichen wollten, dass dieser Eklektische Bund eine Schöpfung der Illuminaten war und dass auch auf verschlungenen Wegen der reformierte Illuminatismus schliesslich über den Bund der deutschen Freimaurer zum Reformwerk von Friedrich Ludwig Schröder fand.

Zum anderen aber bleibt die Erkenntnis, dass hier eine Organisation versucht hat, auf der Basis von empirischem Wissen und gelebter Vernunft eine bessere Welt zu schaffen, indem man die Institutionen unterwanderte, um so die Bevormundung durch eben diese Institutionen zu behindern und zu verhindern. Und genau da liegt der Widerspruch von Absicht und Methode, insofern nämlich die alte Hierarchie der alten Mächte lediglich durch eine neue Hierarchie der Vernünftigen abgelöst werden sollte. Hier heiligte also der Zweck keineswegs die Mittel einer eigentlichen Verschwörung der ratio.


Schillers Auffassung ist daher bedenkenswert: Er lehnte den Eintritt in den Orden ab, weil er glaubte, dass der Despotismus, der in dieser Gesellschaft (der Illuminaten) herrschte, grösseres Übel anrichten könnte, als alles Übel, gegen das der Orden kämpfen wollte.


Die Illuminaten wollten zwar das Gute und das Gute sahen sie in einem aufgeklärten und durchwegs auch gottfernen Rationalismus. Man könnte auch die These wagen, dass sie schlicht ihrer Zeit voraus waren, in dem sie es riskierten, Dinge auszusprechen und zu wollen, die erst in unserem Jahrhundert als selbstverständliche Bestandteile im öffentlichen Diskurs verstanden werden: Die Rede ist von rationaler Vernunft und Wissenschaftlichkeit, Bildung und Aufklärung, Transparenz und Mitwirkungsrechte in den politischen Prozessen, Volkssouveränität und Demokratie aber auch das Recht des Einzelnen, glauben und wissen zu dürfen, was er will und nicht was andere wollen.


Nun allerdings deshalb die Illuminaten als Staatsverschwörer zu beschreiben, das ist geopolitisch und bedeutungsgeschichtlich eine ungebührliche, allenfalls phantasieanregende Übertreibung:


„Der Illuminatenorden hat seinen Platz daher weit mehr in der Kommunikations- und Bildungsgeschichte als in einer Geschichte staatsgefährdender Umtriebe." (Eberhard WEIS: Der Illuminatenorden).


Dennoch wird der Orden, wie bereits vorher angedeutet, heute in Kreisen, denen ein sauberes Studium der Fakten zu viel Mühe bereitet, als eine Organisation gesehen, die immer noch existiert und im klandestinen Dunkel eine gottlose Weltmacht anstrebt. Fakt ist allerdings, dass 1896 die Neugründung des Historikers Leopold ENGEL, die er „Weltbund der Illuminaten” nannte und als Nachfolgeorganisation verstand, bereits 1929 wieder aus dem Berliner Vereinsregister gelöscht wurde. Dass die Anhänger der Verschwörungshysterie Aktenstücke jeweilen als Fälschungen der mitverschworenen Ämter bezeichnen, gehört zum auflagensteigernden Spiel der Verfasser und

Buchverleger. Die einschlägigen Akten dieser Vereinigung befinden sich übrigens wie so vieles aus Deutschlands weniger ruhmreichen Geschichte heute im Deutschen Sonderarchiv, Moskau.


Und heute: Wie sehen wir Aufgeklärten heute den Illuminatismus? Ich denke, wir müssen uns daran gewöhnen, hier ein historisches Phänomen zu sehen, das im Umfeld seiner Zeit einen Aspekt der damaligen gesellschaftlichen Stürme und Drängerei Diskussionen in den Vordergrund gerückt hat, nämlich den Versuch, den Dingen und Verhältnissen durch Vernunft und Forschung auf die Spur zu kommen, um dadurch eine bessere Welt zu schaffen. Dass der Orden scheitern musste, ist heute beim gegenwärtigen Forschungsstand durchaus nachvollziehbar. Aber jenseits von Pessimismus und Jammertalklagen bleibt der Kerngedanke der Illuminaten lebendig: Wir haben eine Chance, wenn wir nicht auf ideologische Chimären oder auf dogmatisch gestählte Enzykliken hören, sondern den Stimmen einer lebensfreundlichen Vernunft lauschen und die stille geistige Verschwörung der ratio weiterpflegen und weitertragen.


V. T.

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